Diagnostik und Monitoring des Therapieansprechens –
Zukunftsvisionen in der Neuromedizin 

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Von Daten zu Diagnosen: Künstliche Intelligenz in der Neuroimmunologie

Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. In der Medizin wird der Einsatz im Rahmen der Diagnostik, bei der Beurteilung der Krankheitsaktivität sowie bei der Bewertung des Therapieerfolgs untersucht. Auch in der Neuroimmunologie gibt es aktuell viele Forschungsfelder und Zukunftsvisionen.

Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e. V. treibt Innovationen zur Diagnostik und Therapie neurologischer Krankheiten voran.ref_DGKN_2024 Vom 6. bis 9. März 2024 fand in Frankfurt am Main der viertägige DGKN-Jahreskongress statt. Unter dem Kernthema „Auf dem Weg zur personalisierten Medizin“ wurden Schwerpunktthemen wie Künstliche Intelligenz (KI) und Big Data sowie Biomarker und Prädiktion näher beleuchtet.ref_Kongress_2024 Das DGKN-Symposium „Personalisierte Medizin in der Neuroimmunologie – zwischen Zukunftsvision und Praxisalltag“ von Alexion thematisierte innovative Aspekte der Diagnose und Therapie der Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD). 

NMOSD – herausfordernde Differenzialdiagnostik in der Neuroimmunologie

Bei NMOSD, eine Gruppe von seltenen neurologischen Autoimmunerkrankungen, ist vor allem die Abgrenzung zu anderen (neuroimmunologischen) Erkrankungen herausfordernd. Die Zeit bis zur gesicherten NMOSD-Diagnose dauert durchschnittlich 37,5 Monate.ref_Jarius_2012 Zudem erhalten bis zu 40 % der Patient:innen die initiale Fehldiagnose Multiple Sklerose.ref_Jarius_2012ref_Mealy_2012
Wichtige Differenzialdiagnosen der NMOSDref_Hemmer_2024
  • Multiple Sklerose
  • Virale oder bakterielle Infektionen
  • Rheumatologische Erkrankungen
  • Tumorerkrankungen

Nur mittels sorgfältiger Anamnese, Liquor- und Labordiagnostik, Bildgebung sowie durch klinische Auffälligkeiten kann eine frühzeitig gesicherte Diagnose gestellt werden. 

Zur Unterstützung bei der Differenzialdiagnose und Diagnose zum Verlauf und Monitoring der Erkrankung sowie zur Kontrolle des Therapieansprechens werden in der Neuroimmunologie der Einsatz von KI bei der MRT-Bildgebung, die Identifikation spezieller Biomarker im Serum und Liquor sowie die optische Kohärenztomografie als mögliche Zukunftsvisionen diskutiert.ref_Granziera_2023ref_Jarius_2023ref_Ayoubi_2022ref_Oertel_2017ref_Rogaczewska_2021ref_Abdelhak_2022ref_Dinoto_2022ref_Kim_2024ref_Kim_2022

Künstliche Intelligenz – Einsatz bei der Bildgebung

Vor allem im Bereich der MRT-Bildgebung erfährt die KI einen Aufschwung zur Unterstützung der Diagnose und zum Monitoring neurologischer Erkrankungen. KI kann unter anderem implementiert werden, um Aufnahmeprotokolle zu beschleunigen, neue Kontrastmöglichkeiten zu erzeugen oder auch um die Gadoliniumlast für die Betroffenen zu reduzieren. Darüber hinaus kann KI genutzt werden, um bildgebende Befunde anhand von diagnostischen und prognostischen Biomarkern mit klinischen Befunden zu kombinieren – mit dem Ziel der patient:innenindividuellen Präzisionsmedizin.ref_Granziera_2023

Optische Kohärenztomografie – mögliche Abhilfe für die Differenzialdiagnostik MS versus NMOSD?

Die optische Kohärenztomografie (OCT) erstellt nichtinvasiv hochauflösende 2D- und 3D-Bilder der neuralen und vaskulären Komponenten der Retina. So können die OCT-Biomarker GCIPL (makuläre Ganglienzell-Innerplexiforme-Schicht) und pRNFL (peripapilläre retinale Nervenfaserschichtdicke) nützliche Informationen für die Differenzialdiagnose neurodegenerativer Erkrankungen liefern und als unterstützendes, frühzeitiges Diagnoseinstrument eingesetzt werden.ref_Jarius_2023ref_Ayoubi_2022ref_Oertel_2017ref_Rogaczewska_2021 Bei NMOSD konnte in den meisten Studien eine Ausdünnung der pRNFL und GCIPL nach schubbedingter Optikusneuritis gezeigt werden. Diese Ausdünnung war in der Regel bei AQP4-Antikörper-positiver NMOSD stärker ausgeprägt als bei MS:ref_Jarius_2023

Abb. 1: Durchschnittliche pRNFL-Ausdünnung nach Optikusneuritis (retrospektive Auswertung von 11 Studien)ref_Jarius_2023

Serum-Biomarker in der Neuroimmunologie – relevant für den Praxisalltag?

Im Vergleich zu MS konnten bei NMOSD bereits spezifische IgG-Autoantikörper nachgewiesen werden. Diese richten sich gegen den Wasserkanal Aquaporin-4 (AQP4) auf Astrozyten und sind für die Pathophysiologie und somit für die Diagnostik entscheidend. Circa 80 % der NMOSD-Patient:innen sind AQP4-Antikörper-positiv.ref_Hemmer_2024 Doch es gibt weitere interessante Biomarker, die in Zukunft für die Astrozyten-Schädigung und neuroaxonale Degeneration differenzialdiagnostisch und für die Prognose sowie das Monitoring von Bedeutung sein könnten. Dazu gehören unter anderem NfL (Neurofilament-Leichtketten) und GFAP (glial fibrillary acidic protein).ref_Jarius_2023ref_Abdelhak_2022

Biomarker Relevanz bei MS  Relevanz bei NMOSD  Relevanz bei MOGAD 
GFAP Prädiktor für
Krankheitsprogressionref_Meier_2023ref_Abdelhak_2024
 Prädiktor für Schüberef_Schindler_2023ref_Aktas_2021ref_Bachhuber_2021  Unklar
NFL Biomarker für akute
Nervenschädigungref_Schindler_2023
 Biomarker für Krankheitsprogression bzw. bleibende Schädigungref_Aktas_2023  Unklar
Marker für effektives
Therapieansprechenref_pape_2022

BMI = Body-Mass-Index, GFAP = glial fibrillary acidic protein, MOG = Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein, MOGAD = MOG-Antikörper-assoziierte Erkrankung, MS = Multiple Sklerose, NfL = Neurofilament-Leichtkette, NMOSD = Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen

Ausrufezeichen 
Praktische Herausforderungen sind regelmäßige Blutabnahmen sowie Störvariablen wie Alter und Gewicht/BMI.

NMOSD: Schon viel erreicht, gemeinsam noch viel mehr erreichen

Insgesamt zeigen diese vorläufigen Daten aus der Neuroimmunologie, dass vielversprechende Biomarker zur Bestimmung der Krankheitsaktivität sowie Identifikation von Patient:innen mit Schubrisiko beitragen können. Zukünftig und nach entsprechender Validierung könnten solche prognostischen Biomarker dabei helfen, gezielt die Therapie von Patient:innen unter Risiko frühzeitig zu eskalieren, um die Krankheitskontrolle zu erhalten.ref_Dinoto_2022ref_Kim_2024ref_Kim_2022

Den diagnostischen Bedarf bei NMOSD sowie die Notwendigkeit einer zielgerichteten, langfristigen Therapie mit dem primären Ziel der Schubfreiheit untermauern aktuelle Real-World-Daten aus dem Routinealltag:ref_Kleman_2023

  • NMOSD-Patient:innen mit Rezidiv nach dem ersten Schub litten aufgrund von Myelitis und  Optikusneuritis unter schwereren Behinderungen und Sehstörungen als Patient:innen ohne Rezidiv.ref_Kleman_2023
  • Patient:innen mit Rezidiv konsultierten signifikant häufiger Physiotherapeut:innen, Urolog:innen und Neuropsycholog:innen, was sowohl die physische als auch psychische Belastung der NMOSD widerspiegelt.ref_Kleman_2023

Diese Real-World-Daten bestätigen den negativen Einfluss von Schüben auf den Alltag der Patient:innen und unterstreichen die Notwendigkeit, bei Auftreten von Red Flags an die sehr seltenen NMOSD zu denken.ref_Hemmer_2024ref_Kleman_2023ref_Kuempfel_2024

Die ersten Schritte auf dem Weg zu neuen Zukunftsvisionen in der Neuroimmunologie sind gemacht. Die vielversprechenden Daten zu OCT, Biomarkern und auch zu KI müssen in weiteren Studien untersucht werden, um an größeren NMOSD-Patient:innenkohorten und mit validen Methoden die Ergebnisse zu reproduzieren. 

 

 

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Referenzen

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  1. Kongress für Klinische Neurowissenschaften mit Fortbildungsakademie. Online veröffentlicht unter:  https://www.kongress-dgkn.de/ (letzter Zugriff 19.02.2024).
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  1. Mealy M et al. Arch Neurology. 2012;69:1176–1180.
  1. Hemmer B., Gehring K. et al. Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica- Spektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen, S2k-Leitlinie, 2024, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 30.10.2025)
  1. Granziera C. AI and MS diagnosis and differential diagnosis. Vortrag ECTRIMS 2023.
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  1. Kleman M et al. SPOR 2023; Poster PCR177. Online veröffentlicht unter: https://www.ispor.org/heor-resources/presentations-database/presentation/euro2023-3787/133565 (letzter Zugriff 19.02.2024). 
  1. Kümpfel T et al. J Neurol. 2024;271(1):141–176.

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